Stand: 24.08.2020
Wissenschaftler kritisieren, dass die deutsche Ernährungspolitik viel zu wenig für gesunde und nachhaltige Lebensmittel tut. Deshalb fordern die Forscher umfassend gegenzusteuern. In seinem aktuellen Gutachten schreibt der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz, „Die Politik müsse für mehr Nachhaltigkeit bei der Ernährung sorgen, Deutschland sei hier im europäischen Vergleich “Nachzügler”.
Somit stellt er Bundeslandwirtschafts- und Ernährungsministerin Julia Klöckner (CDU) ein erbärmliches Zeugnis aus. Das Fazit der Forscher: Keines der Ziele wurde bisher erreicht. Der Vorsitzende des Forschergremiums, Agrarwissenschaftler Harald Grethe, hat der Ministerin heute die Analysen und Empfehlungen zur Ernährungspolitik übergeben. Die Wissenschaftler richten damit ihren Fokus auf vier große Ziele einer nachhaltigeren Ernährung:
Julia Klöckner wolle Verbraucher befähigen, ihre Entscheidungen selbst zu treffen, aber keine “Ernährungspolizei” einsetzen.
In dem Gutachten kritisieren die Wissenschaftler, dass die bestehenden Rahmenbedingungen bisher “wenig hilfreich” seien. Nach ihrer Ansicht verlagere die Politik die Verantwortung zu sehr auf die Verbraucher. Den Forschern ist es wichtig, dass es den Menschen erleichtert werden müsste, nachhaltige Lebensmittel zu erkennen und für einen entsprechenden Einkauf die richtigen Preisanreize setzen. Zudem kritisieren sie die Werbung, weil sie dem Menschen vorgaukelt, was die Menschen als normal empfänden. Es werden dabei jedoch besonders stark Produkte mit ungünstigem Nährwertprofil und schlechter Klimabilanz beworben.
Weiter heißt es, dass In der gesamten Wertschöpfungskette für Lebensmittel, von der Landwirtschaft über die Verarbeitung bis zum Handel, “vermeidbare negative ökologische Effekte“ auftreten. Außerdem fehlt eine Strategie für mehr Tierwohl, die auch die Finanzierung des notwendigen Umbaus der Nutztierhaltung umfasse.
Weiter wird kritisiert, dass sich die Menschen hierzulande gemessen am Wohlstand nicht so gesund ernähren, wie es mit mehr politischer Unterstützung möglich wäre. Bei entsprechenden Indikatoren wie etwa Übergewicht stehe Deutschland nur mittelmäßig da. Die ungesunde Ernährung führe zu “hohen volkswirtschaftlichen Belastungen”, wie z.B. durch eine zunehmende Zahl ernährungsbedingter Krankheiten.
Der Wissenschaftliche Beirat für Agrar- und Ernährungsfragen gibt konkrete Vorschläge, was die Politik für eine nachhaltigere Ernährung tun könnte. So empfehlen sie zum Beispiel, den reduzierten Mehrwertsteuersatz für tierische Erzeugnisse abzuschaffen. Denn der Konsum von Fleisch und anderen tierischen Produkten sollte reduziert werden. Daher fordert der Beirat auch eine Mehrwertsteuersenkung für Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte.
Zudem rät das Forschergremium zu einem verpflichtenden Klimalabel und zu einer Informationskampagne, die Verbraucherinnen und Verbraucher dafür sensibilisiert, dass tierische Produkte dem Klima schaden können. Bei Fleisch habe sich das ja inzwischen herumgesprochen, bei anderen Produkten sei es komplizierter, sagt Beiratsmitglied Achim Spiller. Regionale Tomaten aus dem Freiland etwa seien sehr klimafreundlich, die Klimabilanz von Tomaten aus beheizten Gewächshäusern jedoch schlecht. Auch der Verzicht auf eingeflogene Waren halten die Wissenschaftler für sinnvoll.
Die Forscher sind sich einig, um eine gesündere Ernährung zu erreichen, sollten zuckerhaltige Getränke besteuert werden und gleichzeitig Trinkwasserspender in öffentlichen Räumen geschaffen werden. Achim Spiller fordert, dass die Menschen ihr Wasser nicht auf der Toilette abfüllen müssen. Besonders wichtig ist den Forschern eine hochwertige und kostenlose Gemeinschaftsverpflegung in Kitas und Schulen. Hier sollten die Qualitätsstandards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung gelten.
Der Vorsitzende der Wissenschaftlichen Beirats, Harald Grethe, betont, dass sie dagegen sind Ernährungsgewohnheiten zu verbieten. Der Beirat möchte erreichen, dass Menschen die Konsequenzen ihrer Ernährungsentscheidungen stärker berücksichtigen. Die “gute Wahl” sollte dafür gut zugänglich und preisgünstig gestaltet werden. Sein positives Beispiel das Rauchen. Dort habe man ja auch gegengesteuert, sagt Grethe, weil es hohe private und gesellschaftliche Folgekosten verursache.
Durch die höheren Steuereinnahmen sollten unter anderem beitragsfreie Kita- und Schulverpflegung entstehen sowie das Geld in den Umbau für eine bessere Nutztierhaltung fließen. Damit auch einkommensschwache Familien sich eine nachhaltige Ernährung leisten können, sollten sie Geld aus Steuermehreinnahmen zurückbezahlt bekommen.
Zur Info: Der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz ist ein interdisziplinär besetztes Gremium. Es berät das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) bei der Entwicklung seiner Politik. Der Rat erstellt Gutachten und Stellungnahmen zu selbst gewählten Themen.
MARC MAXWELL